Eine Zeitreise
Eine Chronik oder auch Vereinsgeschichten können in Tabellen und nüchternen Aufstellungen gefasst werden. Will man jedoch mehr über den Verein und seine Struktur erfahren, sind es oft die Geschichten aus dem Vereinsleben, die beschreiben wie es um die Motivation und den Teamgeist bestellt ist.
Gerade unter diesem Aspekt erscheint es interessant zurückzublicken, denn wer könnte genau diesen Ansatz besser treffen als die Worte unseres Ehrenmitgliedes Rudi Beck.
Geschichten und Anekdoten
Als langjähriges Vereinsmitglied und Kassierer, dem es vergönnt war vieles aus nächster Nähe zu erleben, möchte ich es mir nicht nehmen lassen, ein paar Begebenheiten, vor allem aus unserer frühen Vereinsgeschichte zu erzählen, denn es sind die Gründer und Wiedergründer, denen wir die Germania verdanken.
Aller Anfang ist schwer: Das mussten auch die Gründer unseres Vereins erfahren. In der Zeit der Gründung, also nach der Jahrhundertwende, verstand man unter einem Sportverein nämlich nur einen reinen Turnverein, denn das Turnen hatte damals Blütezeit. Der Fußballsport galt noch als Gefährdung jeglicher Moral, sah man doch im Fußballsport ein grobes, körperverletzendes Rowdyspiel. Diese Tatsache sowie das Ausbrechen des 1. Weltkrieges waren dem Vorwärtsstreben der neuen Sportart sehr hinderlich. Nach dem 1. Weltkrieg gründeten 15 junge Burschen den Fußballclub Germania 1921, mussten aber erfahren, dass der Fußballclub Germania 08 noch als bestehender Verein gemeldet war, so dass sich eine Neuanmeldung erübrigte.
Vorsitzender sowie gleichzeitig Schriftführer wurde mein Vater, Adam Beck, der schon während seiner Lehrzeit Mitglied des 1. Fußballclubs 03 Gelnhausen war. Den ersten Lederfußball brachte er ebenso wie seine Fußballerkenntnisse von Gelnhausen mit. Ein großes Ereignis war seinerzeit das Eintreffen der ersten Trikots, die Sonntags um 2.00 Uhr mit der Spessartbahn eintrafen. Sie waren gestreift und hatten die Farben rot-weiß. Zum ersten Mal also brauchte die Mannschaft nicht mit aufgekrempelten Hosenbeinen und Hemdsärmeln zu spielen.
Angesichts dieser schwierigen Anfänge muss es verwundern, dass es bereits in den 30er Jahren in Bieber drei Fußßballvereine gab. Den Sportverein Germania 08 Bieber, die DJK sowie die “Freien”. Der Sportplatz der Germania war auf dem Galgenberg (Schulacker). Dort wurden auch Schulwettkämpfe ausgetragen. Die DJK spielte unterhalb des katholischen Pfarrhauses und der Platz der Freien war bei der Gaststätte Urbach (Lenkwiese). Man darf sich in diesem Zusammenhang schon die Frage stellen: Wo kamen denn die vielen Spieler her, die benötigt wurden? Andererseits kann ich mich noch erinnern, dass von einer Familie 4 Spieler in der 1. Mannschaft und ein weiterer in der 2. Mannschaft gespielt haben.
Zwei Begebenheiten aus der Vorkriegszeit, die ich ihnen nicht vorenthalten möchte, habe ich noch gut in Erinnerung.
Mit einem Bus oder ähnlichem fuhren wir zu einem Punktspiel nach Mittelgründau. Es war der 1. Adventssonntag. Natürlich haben wir verloren. Das machte aber einigen unserer Spieler überhaupt nichts aus. Nach dem Spiel ging es in der Gaststätte lustig zu. Die Wirtin stellte Weihnachtsgebäck auf den Tisch und unsere Spieler zogen eine richtige Show ab. Unter anderem bekamen die Gäste in der vollbesetzten Wirtschaft gezeigt, wie eine Kuh aufsteht. Alle haben sich köstlich amüsiert. Nur ich wollte gerne heim. Die Zeit war schon ziemlich fortgeschritten und endlich ging es heimwärts. Nicht weit gefahren, stockte das Fahrzeug. An mehr als einen Kilometer am Stück war nicht zu denken. Bereits Ortsausgang Mittelgründau fingen die Ersten an, den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen und sie waren auch die Ersten in Bieber. Es dauerte mehrere Stunden, bis wir Lanzingen erreichten. Von da an liefen mein Vater und ich nach Hause. Die meisten waren ja schon ausgestiegen und der Bus hatte sie nie erreicht.
Aber die Geselligkeit war wichtiger als das verlorene Fußballspiel. Trotzdem oder vielleicht gerade wegen solcher Begebenheiten gehörten die gemeinsamen Auswärtsfahrten zu den Höhepunkten der ganzen Woche. Der Andrang von Anhängern, die die Mannschaft zu den Auswärtsspielen begleiten wollten, war streckenweise so groß, dass nur Vereinsmitglieder mitgenommen werden konnten. Selbst der sonntägliche sich stets wiederholende Disput um die Rückfahrt konnte die Begeisterung nicht schmälern.
In einem Heimspiel gegen Kassel, das damals schon Derbycharakter hatte, gingen beide Mannschaften mit großem Eifer und auch mit der nötigen Härte zur Sache. Während des Spielverlaufs ging nach einem Harten Zweikampf ein Gästespieler zu Boden. Im gleichen Moment schrie er auf: “Hilfe Herr Schiedsrichter, ich bin bewusstlos”.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Fußballspiel wieder aktuell. Mein Vater, Adam Beck, saß in seiner Schuhmacherwerkstatt als die Tür aufging, und überraschend kamen zwei amerikanische Besatzungsoffiziere, die baten, den Fußballverein wieder aufleben zu lassen. Sie kamen deshalb zu meinem Vater, weil er langjähriger Vorsitzender, aber auch politisch Verfolgter war. Er erklärte sich dazu bereit und veranlasste eine Versammlung in der Gaststätte Jean Lückel.
Die Gaststätte war bis auf den letzten Platz besetzt. Die große Begeisterung stand jedem Anwesenden schon ins Gesicht geschrieben. Vorsitzender wurde erneut mein Vater, Adam Beck, und sein Stellvertreter Karl Lückel. Wie ging es aber nun sportlich los? Die amerikanischen Offiziere brachten zwar allerlei Sportartikel mit und schenkten sie dem Verein, ein Fußball war aber nicht dabei. Wir konnten uns beileibe nicht vorstellen, wie man mit einem übergebenen eiförmigen Lederball Fußball spielen sollte.
Ein richtiger Sportplatz war natürlich auch nicht vorhanden. Das erste Spiel wurde auf dem Gelände der Fa. Bonhard ehemals Menü-Variant ausgetragen. Durch diese Wiese ging allerdings ein offener Wassergraben, die Tore waren nur provisorisch hingestellt. Es war eben keine Dauerlösung. Man versuchte es auch mal im Röhrig, bis man auf dem Gelände des jetzigen Schwimmbades für längere Zeit eine Heimat fand. Da gab es natürlich viel zu tun. Wichtigste Frage: Wo kommen die Tore her? Karl Lückel sagte: “Das lasst meine Sorge sein.” Schon am nächsten Tag waren die Tore aufgestellt. Allerdings fehlte in der Sommerseite plötzlich ein Hochsitz. Es musste sich eben beholfen werden.
Das erste Punktspiel war gegen Udenhain. Lediglich 10 Spieler kamen mit ihren Fahrrädern an, aber wir gewannen das Spiel. Ein Zuschauer, bis dahin unbekannt, stand an der Außenlinie und sagte: “Das ist doch kein Fußball, was ihr hier spielt!” Die Antwort kam prompt: “Wenn du es besser kannst, dann spiel am nächsten Sonntag mit.” Am nächsten Sonntag ging es mit dem neuen Mann, dem leider schon lange verstorbenen Josef Klisch, nach Schlierbach. Spielerpässe waren damals unbekannt. Josef Klisch war mit Abstand unser bester Mann und schoss auch das einzige Tor des Tages. Welch ein Jubel, und Josef Klisch sollte ab diesem Tag über Jahre hinweg der entscheidendste Spieler für unseren Verein werden. Heute würde solch ein Spieler sicher die eine oder andere Spielklasse höher spielen, aber damals ging es eben zuerst um den Verein.
Nicht jeder unserer Spieler hatte allerdings so viel Können. So lief ein Verteidiger unserer Mannschaft, von zwei Mitspielern an der Mittellinie bedrängt, immer weiter Richtung eigenes Tor bis das Leder schließlich im eigenen Netz lag.
Gab es für Bieber einen 11er, war klar, dass da der Torhüter aus seinem Gehäuse herauskam und den fälligen Strafstoß schoss .”Bieber hätte mehr Elfer bekommen müssen, dann wären wir vielleicht auch mal aufgestiegen”. Wenn ich soeben meinen Vater zitiert habe, der ja nie ein guter Fußballspieler war, aber dem Fußballsport sehr verbunden und der nach einem verlorenen oder schlechten Spiel niemals sagte, “so was schau ich mir nicht mehr an”, so will ich hier an dieser Stelle einmal die Lage der damaligen Zeit schildern.
Thema Opferbereitschaft: Anfang des 20. Jahrhunderts lernte mein Vater in Gelnhausen das Schuhmacherhandwerk. Da mussten im ersten Ausbildungsjahr noch Kost und Unterkunft gezahlt werden. Im zweiten Jahr war Kost und Unterkunft frei und im dritten Jahr bekamen sie die Woche 50 Pfennig. Der Monatsbeitrag des Fußballvereins 03 Gelnhausen betrug 50 Pfennig. Also war ei Wochenlohn von einem 17jährigen Burschen schon mal hin, nur um Fußball spielen zu können. Nach Hause fahren mit der Spessartbahn war nur am Wochenende möglich. Die Arbeitsstunden betrugen im Winter 12 und im Sommer 14 Stunden. Nur mal ein kleines Beispiel wie es so um die Zeit der Vereinsgründung war.
Bis heute hat sich natürlich die Finanzsituation des Vereins gewaltig geändert. Sind die Vereinsgeschäfte mittlerweile fast nur noch von Finanz- und Steuerexperten zu bewältigen, so waren diese Geschäfte früher jedenfalls einfacher und verständlicher. Die Haupteinnahmequelle war - man höre und staune - der Spielbetrieb, der heute eher auf der Ausgabeseite stehen dürfte. Blickt man in die Kassenbücher der damaligen Jahre, kann man auf manche Kuriositäten stoßen:
So tauchen auf der Ausgabeliste für 1950 der Betrag von 40 Pf. für 2 Hefte für das Preiskegeln auf; aber auch schon für Massagen für die Spieler zu 18,75 DM. Auf der Einnahmeseite 1951 siehtr man den Betrag von 13,47 DM für einen Filmabend bei einem Eintrittspreis von 15 Pf. Und auch eine Einnahme von 92,06 DM bei einem Verbandsspiel zwischen Bieber und Kassel. Der Gesamtjahresetat bewegte sich in den 50er Jahren bei etwa 2.400 DM. Lediglich im Jubiläumsjahr 1958 wurden etwa 5.000 DM umgesetzt.
Auch am kulturellen Leben des Dorfes war und ist die Germania maßgebend beteiligt. Früher gab es sogar eine Theatergruppe, deren Aufführungen immer große Erfolge versprachen. Die Vorstellungen waren stets gut besucht, denn die Leute kannten ja noch kein Fernsehen. Der erste Maskenball, der in Bieber überhaupt stattfand, wurde von unserem Verein veranstaltet und fand allgemeinen Anklang. Heute ist der Verein regelmäßig Ausrichter der traditionellen Bieberer Kerb und eine Reihe von weiteren Veranstaltungen zieren das Jahresprogramm.
Die nähere Vergangenheit des Vereins stand mehr unter dem Zeichen des Umbruchs, d.h. Sportplatz- und Sportheimbau. Unser heutiges Sportheim wurde 1973 gebaut. Die Einweihung wurde dann zu unserer aller Freude am 12.10.1973 gefeiert. Als nächsten großen Schritt begann man 1978 mit dem Bau unseres heutigen Hartplatzes. Der Rasenplatz wurde schließlich 1982 erstellt und 1988 von Grund auf saniert. In den folgenden Jahren wurden weitgehende Renovierungen unter tatkräftiger Mithilfe der Vereinsmitglieder sowohl im Sportheim als auch auf den Sportanlagen selbst durchgeführt. Wenn ich mit den vorangegangenen Worten im wesentlichen auf das Wirken vergangener Generationen eingegangen bin, bleibt dies nicht ohne Hinweis für die heutige Vereinsarbeit. Gilt es doch Vereinstreue und Identität als ein Stück Heimat zu verstehen, für die es lohnt sich einzusetzen und so dem SV Germania 08 Bieber eine Zukunft zu geben. Zukunft braucht Herkunft und von dieser Herkunft durfte ich einiges berichten, um die Zukunft sollte es somit auch nicht bange sein.
Dem Vorstand wünsche ich bei seinen Bemühungen um das Wohl des Vereins jedenfalls auch für die Zukunft alles erdenklich Gute. Besonders faire Spiel, begeisterte Zuschauer und sportlichen Erfolg.
Rudi Beck
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